Wenn du im Praxisteil deiner Arbeit mit der Methode des Interviews arbeitest, stehen dir unterschiedliche Interviewformen zur Verfügung. Die formloseste Variante stellt das unstrukturierte Interview dar: Dieses kommt weitestgehend ohne fixe Gesprächsvorgaben aus und räumt dem Befragten viel Freiraum für eigene Erzählungen ohne externe Einflussnahme ein. Was ein unstrukturiertes Interview sonst noch ausmacht, verraten wir dir in diesem Artikel.
Definition: Unstrukturiertes Interview
Ein unstrukturiertes Interview gibt dir als Forschungsleiter maximale Freiheit im Hinblick auf die Formulierung von Fragen und deren Abfolge.1 Es ähnelt im Wesentlichen einer alltäglichen Konversation – als Vorbereitung wird allenfalls ein grober Leitfaden erstellt, der beispielsweise das Ziel der Befragung, den thematischen Rahmen sowie Notizen zu ad-hoc-Fragen enthält.2
Die Gesprächsbeiträge des Interviewers beschränken sich großteils auf Erzählanstöße, Verbalisierungsaufforderungen und spontane Verständnisfragen.3 Dies mag zunächst einfach klingen, erfordert aber von dir als Befragungsleiter hohe Konzentration und ein ausgeprägtes Reaktionsvermögen.
Besonders gut eignet sich diese Interviewform, wenn du detaillierte Informationen über den jeweiligen Themenbereich sammeln möchtest beziehungsweise die den Aussagen zugrundeliegenden Bedeutungsmuster des Befragten erfassen möchtest.2
Das unstrukturierte Interview zählt zu den qualitativen Methoden. Es kann bei Bedarf mit anderen Herangehensweisen kombiniert werden.
Das narrative Interview
Das narrative Interview ist eine Unterkategorie des unstrukturierten Interviews. Narrative Interviews werden auch als offene4 oder erzählende Interviews bezeichnet, die auf Einzelpersonen, Paare oder Gruppen angewandt werden können.5 Sie werden häufig in der Biographieforschung genutzt und zielen dabei darauf ab, den Befragten dazu zu animieren, möglichst frei über bestimmte Lebenssituationen zu berichten.6
Den Ablauf eines narrativen Interviews kannst du dir wie folgt vorstellen:
- Der Gesprächseinstieg wird durch einen sogenannten „Erzählstimulus“ ermöglicht, mit dem die befragte Person dazu aufgefordert wird, über das jeweilige Thema zu berichten.6
- Im weiteren Verlauf können bei Bedarf Nachfragen gestellt werden4, wobei sich diese auf Verständnisfragen beschränken sollten, solange der Monolog andauert.5
- In der dritten Phase können sogenannte immanente Fragen gestellt werden, die sich auf bereits Berichtetes beziehen und darauf abzielen, auf interessante Aspekte noch einmal genauer einzugehen.
- Exmanente Fragen wiederum entspringen nicht dem eigentlichen Gesprächsinhalt, sondern werden vom Forscher in einem vierten Schritt auf Basis eines spezifischen Erkenntnisinteresses eingeworfen.
- Abschließend wird das Gespräch durch einen passenden Schlussakt abgerundet.5
Unstrukturiertes Interview: Vor- und Nachteile
Die folgende Tabelle zeigt dir die Vor- und Nachteile eines unstrukturierten Interviews:
Vorteile | Nachteile |
Hohe Informationsdichte | Hohe Abhängigkeit vom Befragten |
Detaillierte Erkenntnisse | Hohe Ansprüche an Fähigkeiten des Interviewers |
Steuerung des Gesprächsverlaufs | Komplizierte Auswertung |
Nachfragen sind möglich | Kein Zugang zu bestimmten Personen |
Das unstrukturierte Interview im Vergleich
Abschließend geben wir dir einen Überblick über die wichtigsten Eigenschaften des unstrukturierten Interviews im Vergleich mit anderen Interviewformen:
Interviewform | strukturiert | semistrukturiert | unstrukturiert |
Vorformulierte Fragen | Ja | Ja | Nein |
Strikte Reihenfolge | Ja | Nein | Nein |
Feste Fragenanzahl | Ja | Nein | Nein |
Rückfragen | Nein | Ja | Ja |
Häufig gestellte Fragen
Das unstrukturierte Interview zeichnet sich dadurch aus, dass es ohne vorgefertigtes Befragungsinstrument auskommt und der Gesprächsverlauf nicht durch eine Abfolge von Fragen und Antworten bestimmt wird. Stattdessen stehen über weite Strecken die spontanen Ausführungen des Interviewpartners im Vordergrund.3
Durch ein unstrukturiertes Interview kann die Befragung an Tiefe gewinnen, weil sie mit einer hohen Informationsdichte einhergeht und zum Generieren von detailliertem Wissen beiträgt.2
Ein unstrukturiertes Interview hat unter anderem den Nachteil, dass sich die erhobenen Daten weniger gut vergleichen lassen als bei anderen Formen der Befragung.2
In vielen Fällen wird ein unstrukturiertes Interview in narrativer Form durchgeführt. Als weitere Variante ist zum Beispiel das ethnografische Feldinterview zu nennen.3
Ein unstrukturiertes Interview zählt zu den qualitativen Forschungsdesigns, die insbesondere im Rahmen der empirischen Sozialforschung zur Anwendung kommen.2
Quellen
1 Lexikon Stangl: Befragung, in: Lexikon Stangl, o.D., [online] https://lexikon.stangl.eu/3144/befragung (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)
2 Lexikon Stangl: Unstrukturiertes Interview, in: Lexikon Stangl, o.D., [online] https://lexikon.stangl.eu/17839/unstrukturiertes-interview (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)
3 Döring, Nicola/Bortz, Jürgen: Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften, in Springer – Lehrbuch Psychologie, o.D., [online] https://lehrbuch-psychologie.springer.com/glossar/unstrukturiertes-interview#:~:text=Dem%20nicht%2Dstrukturierten%20bzw.,von%20Fragen%20und%20Antworten%20geleitet (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)
4 Bacher, Johann/Horwath, Ilona: Einführung in die Qualitative
Sozialforschung, in: Johannes Kepler Universität Linz, 2011, [online] https://www.jku.at/fileadmin/gruppen/119/AES/Lehre/Bacc-Pruefung/SkriptTeil1ws11_12.pdf (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)
5 Universität Leipzig – Methodenportal: Narratives Interview, in: Universität Leipzig – Methodenportal, o.D., [online] https://home.uni-leipzig.de/methodenportal/narratives-interview/ (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)
6 Scheytt, Carla: Narratives Interview, in: Ruhr Universität Bochum – Methodenzentrum , o.D., [online] https://methodenzentrum.ruhr-uni-bochum.de/e-learning/qualitative-erhebungsmethoden/qualitative-interviewforschung/unterschiedliche-formen-qualitativer-interviews/narratives-interview/ (zuletzt abgerufen am 15.11.2022)