Das qualitative Interview ist eine Gattungsbezeichnung für verschiedene Interviewformen der empirischen Sozialforschung. Ein qualitatives Interview erhebt Daten zur Analyse von gesellschaftlichen Phänomenen, Biografien und unerschlossenen Forschungsgebieten. Dabei liegt der Fokus auf der Überprüfung von Einzelfällen, um das betreffende Phänomen möglichst detailliert aufzubereiten. Im Folgenden erfährst du, was du für ein qualitatives Interview wissen musst.
Definition: Qualitatives Interview
Ein qualitatives Interview ist eine Datenerhebungsmethode, bei der ein Forscher im Zweier- oder Gruppengespräch Informationen von einer oder mehreren befragten Personen einholt, indem er ihnen Fragen stellt. Ein qualitatives Interview unterscheidet sich insofern von quantitativen Interviews, als es der befragten Person gestattet ist, ihre Antwort eigenständig zu formulieren.
Die so erhobenen Daten müssen zunächst transkribiert und anschließend interpretiert werden. Ein qualitatives Interview ist nicht repräsentativ. Es dient dazu, individuelle Erfahrungsberichte und Expertenmeinungen einzuholen. Dadurch können besondere Phänomene oder spezifische Einzelfälle detailliert beleuchtet und analysiert werden.
Welche Interviewformen zählen als qualitative Interviews?
Der Begriff „qualitatives Interview“ ist ein Überbegriff für verschiedene Arten von Interviews:
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Unstrukturiertes Interview
Unter die unstrukturierten Interviews fallen Interviewformate, die nur über einen rudimentären Ablaufplan verfügen. Sie legen den Fokus auf ausführliche Antworten und die natürliche Gesprächsführung. Daher folgen sie in der Regel einem explorativen und/oder biografischen Ansatz. -
Narratives Interview
Ein narratives Interview ist ein unstrukturiertes Interviewformat. Der fragenstellende Forscher liefert lediglich Impulse, um einen biografischen Bericht beziehungsweise Erinnerungen an ein bestimmtes Erlebnis zu motivieren. Narrative Interviews werden vorrangig für Zeitzeugenberichte eingesetzt und ermöglichen es, Lebensläufe auf forschungsrelevante Aspekte hin zu erkunden. -
Semistrukturiertes Interview
Das semistrukturierte Interview entwickelt im Vorfeld einen Fragenkatalog mit dezidierten Schwerpunkten. Die fragenstellende Person darf im Verlauf des Interviews jedoch von diesem Katalog abweichen. -
Problemzentriertes Interview
Diese semistrukturierte Form des Interviews verfügt über einen dezidierten thematischen Fokus, der durch die fragenstellende Person aufrechterhalten wird. Alle Fragen sind darauf ausgerichtet, den zu erforschenden Sachverhalt zu beleuchten, dahingehend bestehende Besonderheiten zu fokussieren und von irrelevanten Informationen abzugrenzen. -
Experteninterview
Das Experteninterview kann sowohl semistrukturiert als auch unstrukturiert aufgebaut sein. Es stellt das exklusive Wissen der befragten Person in den Vordergrund. -
Gruppendiskussion
Die Gruppendiskussion ist eine Sonderform des Interviews, die zwischen unstrukturierten und semistrukturierten Befragungen changiert. Bei ihr haben mehrere Personen die Möglichkeit, auf Fragen zu antworten und ihre Sichtweise zu diskutieren.
Qualitatives Interview vs. Quantitatives Interview
Die folgenden Auflistungen zeigt dir die wichtigsten Unterschiede zwischen qualitativen und quantitativen Interviews.
Qualitatives Interview:
- Fragenkatalog ist flexibel
- Frei formulierte Antworten
- Auswertung: Transkription und Interpretation
- Analyse von Einzelfällen
Quantitatives Interview:
- Fragenkatalog muss strikt eingehalten werden
- Festgelegte Antwortmöglichkeiten
- Auswertung: statistische Verfahren
- Repräsentative Ergebnisse
In fünf Schritten zum qualitativen Interview
Unter den nächsten Überschriften erklären wir dir, wie du ein qualitatives Interview durchführst. Die einzelnen Arbeitsschritte sind so formuliert, dass sie sich auf jede Unterart des qualitativen Interviews anwenden lassen.
1. Suche dir ein Thema und eine Interviewform aus
Bevor du das Interview durchführst, musst du dein Forschungsinteresse eingrenzen und zu einer dezidierten Fragestellung kommen. Anhand dieser Fragestellung kannst du entscheiden, welches Interviewformat geeignet ist, um die benötigten Daten zu erzeugen.
Wenn du ein neues Forschungsfeld erschließen möchtest, ist ein unstrukturiertes Interview besser geeignet als ein semistrukturiertes Interview. Semistrukturierte Interviews bieten sich hingegen an, wenn du bereits einen bestimmten Aspekt im Sinn hast, den du näher beleuchten möchtest.
2. Einen Leitfaden für das qualitative Interview erstellen
Ein qualitatives Interview benötigt einen Leitfaden. Er organisiert die durchzuführende Befragung. Das gilt sowohl für semistrukturierte Interviews als auch für unstrukturierte Interviews. Allerdings fallen Interviewleitfäden für unstrukturierte Interviews oftmals deutlich kürzer aus.
Der Interviewleitfaden enthält er alle Handlungsanweisungen an die fragenstellende Person. Dazu gehören vorformulierte Fragen, aber auch etwaige Reaktionen auf bestimmte Gesprächsverläufe.1
3. Lass dir eine Einwilligungserklärung ausstellen
Um ein qualitatives Interview durchführen und auswerten zu dürfen, benötigst du die Einwilligungserklärung der befragten Person. Die Einwilligungserklärung für dein Interview muss folgende Bestandteile enthalten:
- Titel des Forschungsprojektes
- Einwilligungsklausel
- Unterschrift der befragten Person mit Ort und Datum
4. Setze das qualitative Interview um
Bevor du ein qualitatives Interview durchführst, solltest du klären, wie viele Befragungen zur Beantwortung deiner Forschungsfrage notwendig sind. Mehrere Befragungen, die ähnliche Ergebnisse aufweisen, unterstreichen etwaige Phänomene und stärken die Aussagekraft des Projekts. Für ein qualitatives Interview sollte sich die Auswahl potenzieller Teilnehmer auf Personen konzentrieren, die der Beantwortung der Forschungsfrage dienlich sind.
Ferner solltest du ein Präskript und ein Postskript für dein qualitatives Interview anfertigen. Die folgende Tabelle zeigt dir, welche Inhalte Präskript und Postskript umfassen:
Präskript | Postskript |
Notizen | Unmittelbare Eindrücke |
Erwartungen an das Interview | Nonverbale Elemente |
Etwaige Unsicherheiten | |
Offene Fragen |
5. Auswertung des qualitativen Interviews
Ein qualitatives Interview muss vor der Auswertung transkribiert, also verschriftlicht, werden. Für die Transkription eignen sich Programme wie MAXQDA.
Das Transkript der Befragung dient als Grundlage für alle weiteren Analyseprozesse. Ein qualitatives Interview kann mithilfe verschiedener Methoden ausgewertet werden. Informiere die Leser deiner wissenschaftlichen Arbeit detailliert darüber, welche Methode du verwendest und wie diese vorgeht.
Eine mögliche Auswertungsmethode für ein qualitatives Interview ist die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring. Die qualitative Inhaltsanalyse kodiert Elemente des Gesprächsverlaufs, um sie anschließend zu kategorisieren und zueinander in Beziehung zu setzen.2
Alternativ oder ergänzend kannst du ein qualitatives Interview mit Methoden der Grounded Theory auswerten. Die Grounded Theory kategorisiert Besonderheiten des analysierten Materials durch Vergleiche und erkennbare Ähnlichkeiten mit anderen Erhebungen.
Die Gütekriterien qualitativer Forschung
Wenn du ein qualitatives Interview durchführen und auswerten möchtest, musst du erörtern, inwieweit du den Gütekriterien qualitativer Forschung gerecht wirst. Sie gewährleisten die Wissenschaftlichkeit deines Forschungsprojekts. Die Güterkriterien qualitativer Forschung sind:
- Du stellst die Transparenz für ein qualitatives Interview sicher, indem du alle Arbeitsschritte ordentlich dokumentierst und deine wissenschaftlichen Argumente nur anhand erläuterter Sachverhalte formulierst.
- Ein qualitatives Interview wird dem Anspruch nach Intersubjektivität gerecht, wenn Interpretationen als solche markiert sind und andere Forscher nachvollziehen können, welche Aussagen sich auf objektive Fakten und welche sich auf subjektive Eindrücke beziehen.
- Dein qualitatives Interview verfügt über Reichweite, wenn es reproduzierbar ist und unter ähnlichen Bedingungen ähnliche Daten hervorruft.
Häufig gestellte Fragen
Ein qualitatives Interview ist eine Datenerhebungsmethode, bei der eine oder mehrere Personen im Rahmen eines Gesprächs die Fragen eines Forschers beantworten. Die Fragen in einem qualitativen Interview können im Vorfeld festgelegt oder improvisiert sein. Wichtig ist, dass die befragten Personen ihre Antworten frei formulieren dürfen.
Ein qualitatives Interview erlaubt die freie Beantwortung der Fragen und kann sich gegebenenfalls an den Gesprächsverlauf anpassen. In einem quantitativen Interview dürfen die befragten Personen nur aus vorher festgelegten Antwortmöglichkeiten wählen.
Quantitative und qualitative Forschungsmethoden erfüllen in der Wissenschaft feste Aufgabenbereiche. Qualitativ bedeutet nicht, dass es eine höhere Qualität aufweist, sondern sich auf die detaillierte Analyse von Einzelfällen konzentriert. Quantitative Interviews bemühen hingegen statistische Aussagen zur Gesamtbevölkerung.
Unter qualitative Interviews fallen narrative Interviews, Gruppendiskussionen, problemzentrierte Interviews und Experteninterviews sowie alle Formen von unstrukturierten und semistrukturierten Interviews.
Ein qualitatives Interview wird zunächst transkribiert. Danach wird das Transkript mit einer bestimmten Methodik, zum Beispiel der qualitativen Inhaltsanalyse, interpretiert.
Quellen
1 Universität Trier: Methodische Überlegungen zu qualitativen Befragungsmethoden,
insbesondere Experteninterviews, in: Universität Trier, o.D., [online] https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb4/prof/VWL/APO/4207ws0102/efstudien.pdf (zuletzt abgerufen am 28.11.22)
2 Prof. Dr. Wotha, Brigitte/ Dembowski, Nina: Leitfaden –qualitative, in: Ostfalia Hochschule, 25.05.2017, [online] https://www.ostfalia.de/cms/de/k/.content/documents/Pruefungsinfos/Leitfaden_qualitative_Interviews_Version_2017_06_14.pdf (zuletzt abgerufen am 28.11.22)