Grounded Theory ist eine Methode der Sozialforschung zum Entwickeln einer Theorie auf der Grundlage empirischer Daten. Bei diesen handelt es sich oft um Material wie Interviews. Sammlung und Auswertung greifen ineinander. Das Ziel von Grounded Theory ist eine Erklärung der wesentlichen Probleme und Motivationen der untersuchten Zielgruppe.
Häufig gestellte Fragen
Der Begriff „grounded“ bezieht sich auf die Daten als Grundlage, das Wort „Theory“ bedeutet im Englischen nicht nur Theorie, sondern auch die Methode der Theoriebildung. Eine wörtliche Übersetzung ist deshalb problematisch. Als deutsche Bezeichnung könntest du am ehesten noch einen Begriff wie „datenbasierte Theoriebildung“ verwenden. Aufgrund ihrer Prägnanz und Bekanntheit wird üblicherweise auch im Deutschen die englische Bezeichnung verwendet.
Als eine solche könnte man die iterative Abfolge von Datenerhebung, -analyse und -auswertung bezeichnen. Jeder dieser Schritte beeinflusst den nächsten. Die Art der weiter zu sammelnden Daten wird durch die bereits erzielten Analyseergebnisse nahegelegt.
Beide Gründer von Grounded Theory haben Literatur hinterlassen, die du als Studienmaterial verwenden kannst. Es empfiehlt sich, bei Anwendung der Methode diese Standardwerke immer wieder beizuziehen, um Anregungen und Erfahrungen anderer für die eigene Arbeit nutzen zu können.
Es kommen zwar auch quantitative Daten in Frage, hauptsächlich werden es aber qualitative Erhebungen sein. In den meisten Fällen sind es Konversationen in verschiedener Form, seien es live Gespräche oder Kommunikation über Medien, wie zum Beispiel E-Mail. Dazu kommen noch öffentliche Äusserungen in der Form von Bildern, Text, Ton und Film. Die Art der Daten hängt klarerweise sehr stark von der gestellten Frage ab.
Diese Idee spielt für Grounded Theory eine wichtige Rolle. Vergleiche können und sollen ständig gezogen werden und zwar auf allen Ebenen. Das bezieht sich also auf die Daten, die Codes und die daraus entstehenden Kategorien.
Sie ist besonders unter Forschern verbreitet, die mit qualitativen Daten arbeiten. Grounded Theory bietet sich an, wenn es darum geht, die wesentlichen Probleme einer Population zu finden und auch zu untersuchen, wie diese Probleme bewältigt werden. Ursprünglich wurde Grounded Theory für ethnografische Probleme entwickelt, wird heute aber für viel weitergehende Fragestellungen eingesetzt.
Definition: Grounded Theory
Grounded Theory wurde als Forschungsmethodik Anfang der 60er Jahre von den Soziologen Anselm Strauss und Barney Glaser entwickelt. Die Methode stammt aus der Chicagoer Schule der Soziologie und geht von der Idee aus, eine Theorie aus Daten heraus zu entwickeln. Grounded Theory kannst du als das Identifizieren von Mustern in den Daten sehen.
Genauer handelt es sich bei Grounded Theory nicht um eine einzelne Theorie, sondern um eine Methodik zum Finden einer solchen. Der Ausgangspunkt ist eine Menge von Daten, deren Analyse die Art und Richtung weiterer zu erhebenden Daten nahelegt. Nach einer Reihe von Schritten der Sammlung und Analyse sollte eine Theorie für die beobachteten Verhaltensweisen entstanden sein.
Wie wird ein Forschungsprojekt aufgebaut?
Als ersten Schritt wirst du den Bereich deines Interesses abstecken. Ist dein Forschungsgegenstand einmal identifiziert, ergibt sich daraus eine Gruppe von Menschen, deren Belange in deinem Projekt untersucht werden sollen.
Dann beginnt das Sammeln der Daten. Für den Typ dieser Daten gibt es im Prinzip keine Einschränkungen, es werden aber oft Ergebnisse von Gesprächen mit den Mitgliedern der Zielgruppe sein.
Steht ein erstes Paket von Daten zur Verfügung, beginnst du die Analyse durch das Finden von Codes. Am Anfang handelt es sich bei diesen Codes um Dinge wie wiederholt auftretende Wörter. Aus diesen leitest du Kategorien ab, die wesentliche Verhaltensmuster deiner Zielgruppe darstellen. Diese Kategorien haben nicht nur beschreibenden Wert, sondern sollten auch für die Erklärung von Verhalten nützliche Konzepte darstellen.
Analysieren und Sammeln weiterer Daten wechseln sich ab, bis sich ein klareres Bild bietet und die entstandenen Kategorien sich zu einer brauchbaren Theorie zusammenfügen. Diese Theorie wird durch Beziehungen zwischen den gebildeten Kategorien gebildet.
Während der ganzen Arbeit empfiehlt dir die Methodik der Grounded Theory ausdrücklich das ständige Schreiben sogenannter Memos. Diese Notizen betreffen Hypothesen und Ideen über mögliche Zusammenhänge. Aufzeichnungen dieser Art stellen nicht nur die Entstehung der Theorie und der Ergebnisse deines Forschungsprojekts dar, sie dienen auch der Förderung von Reflexion über die erhobenen Daten.
Es ist nicht nur in Grounded Theory, sondern in der Forschung und deren Darstellung allgemein anerkannt, dass das Niederschreiben von Ideen und möglichen Zugängen zur klaren Darstellung zwingt und deshalb über simple Aufzeichnungen hinaus einen eigenen Wert besitzt.
Tipp: Hier geht es zu unserem Beitrag Fragebogen erstellen.
Beispiel für die Anwendung
- Am Anfang steht die Frage, was die Auslöser für die Entscheidung zu einer längeren Pilgerreise wie dem Folgen des Jakobswegs sind.
- Als Daten bieten sich in diesem Fall sicher die Ergebnisse von Interviews mit Personen an, die eine solche Pilgerreise bereits absolviert haben.
- Der erste Schritt zu einer Begriffsbildung in Grounded Theory ist dann das offene Kodieren. Das kann das Herausfiltern von Begriffen und Wörtern sein, die in den Antworten der Pilgerreisenden immer wieder vorkommen.
- In diesem Beispiel könnte es sich dabei um Begriffe wie Stress, Probleme in der Familie, im Beruf oder die persönliche Erfüllung handeln.
- Daraus lässt sich in der Kategoriebildung ableiten, dass Erscheinungen wie als zu gross empfundene Arbeitsbelastung oder eine Sinnkrise eine Rolle in dieser Entscheidung spielen.
- Als axiales Kodieren wird dann die Idee bezeichnet, eine Pilgerreise als Verbindung zwischen Sinnkrise und Sinnsuche zu sehen. Dieser Zusammenhang manifestiert sich dann wieder in verschiedenen Lebensphasen. Die Details sind unterschiedlich, aber die psychische Dynamik ist ähnlich.
- In diesem einfachen Beispiel könnte dann ein Ergebnis sein, dass die Entscheidung zu einer Pilgerreise wesentlich mit bestimmten Lebensphasen wie dem Abschluss einer Ausbildung, der anstehenden Berufswahl oder einer längeren beruflichen Überlastung zusammenhängt.
Zusammenfassung
Der Vorteil von Grounded Theory ist eine Offenheit für im Prinzip jede beliebige Theorie, die sich aus den Daten ableiten lässt. Im Gegensatz zu anderen Methoden verzichtet Grounded Theory auf das frühe Aufstellen von Theorien, für die dann eine Bestätigung gesucht wird. Der Preis für diese Qualität ist allerdings ein entsprechend hoher Aufwand. Das angeführte Beispiel zeigt aber, dass dieser Aufwand für eine enger umrissene Fragestellung durchaus zu bewältigen ist.
Eine sinnvolle Vorgehensweise kann deshalb so aussehen, dass du eine nicht zu umfassende, aber trotzdem interessante Fragestellung wählst. Die Methodik der Grounded Theory ist dann mit beschränktem Aufwand anwendbar, sie kann ihre Stärken ausspielen und dich so zu interessanten Ergebnissen führen.